Gute Gründe, 2017

im Rahmen von „Ungebetene Gäste“, Festival der Regionen, Marchtrenk / Österreich

Soll die Kunst kommen oder bleiben, wo der Pfeffer wächst?

Marchtrenk ist nicht gerade das, was man eine touristische Perle nennt. Bei unserem ersten Besuch zeigt sich die Gemeinde an der Traun eher abweisend und verschanzt hinter hohen Zäunen, dichten Hecken und beeindruckenden Betonmauern. Als lang gestreckte Streusiedlung hat sich der Ort mehr funktional als schmuck zwischen Bahnstrecke und Bundesstraße eingenistet. Ein wirklich belebtes Zentrum fehlt, Einfamilienhäuser, die sich nach außen abkapseln, dominieren und als Gast weiß man nicht so recht wohin.

Wir fühlen uns seltsam unwohl und fragen uns: Was haben wir hier zu tun? Das Festivalmotto liest sich auf einmal ganz anders: Ungebetene Gäste?! Sind damit nicht wir Künstler:innen gemeint – der ganze Kunstzirkus, der sich an der Ödnis reibt und auf der Suche nach Austausch, Irritationen und kühnen Setzungen redlich nach Ansatzpunkten forscht, um dann wieder zu verschwinden? Braucht man uns hier? Und will hier überhaupt irgendjemand wirklich, dass die Kunst kommt?

Zeitgenössische Kunst ist oft ungebeten. Besonders wenn sie ortbezogen, intervenierend oder einmischend agiert und sich nicht in den hochkulturellen Schutzräumen der Museen versteckt. Die Lebensroutinen der allermeisten Menschen tangiert aktuelles Kunstschaffen nicht. Und Kunst, die ländliche Gebiete infiltriert, muss sich immer besonders und anders mühen als in den Metropolen.In Marchtrenk drängen sich die Ansätze für unsere Arbeit nicht unmittelbar auf.
Wir sind zu Beginn ratlos und stellen uns die Frage, ob es trotzdem GUTE GRÜNDE für die Kunst an diesem Ort geben kann? Sollten wir diese Frage womöglich weiterreichen? An die, die hier leben und die, die dieses Festival eingefädelt haben?
Schließlich fragen wir: Welche GUTEN GRÜNDE könnte es für ein erhöhtes Kunstaufkommen in Marchtrenk geben? Oder – soll die Kunst kommen oder bleiben, wo der Pfeffer wächst? Wir wagen das Experiment und geben diese Frage zurück an 13.000 Einwohner, die Stadtverwaltung und Festivalmacher.

Fragen, die darauf zielen, ob Kunst gewollt wird, haben wohl kaum eine Chance auf Antworten, wenn sie pauschal gestellt werden. Doch was ist, wenn man sie gezielt widmet und das Gegenüber sehr direkt anspricht? Wenn man sich mehr oder weniger aufdrängt und auf den Pelz rückt? So durchstreifen wir im Vorfeld des Festivals die Gemeinde Marchtrenk und fotografieren, was uns dort an alltäglichen Besonderheiten begegnet. Dabei widmen wir uns vornehmlich den Wohngebieten und schauen über Gartenzäune, auf Pflanzkübel und Spielplätze, in Wirtschaften oder auf Parkplätze, fotografieren Fassaden, Abstellecken, Mauern, Heckenskulpturen und Gardinenfronten. Immer wieder bleibt unser Blick an übermannshohen Zäunen hängen. Wir halten fest, was uns auffällt und staunen an vielen Stellen über die Facetten der nach außen sichtbaren Wohnpraxis.
Aus eingefangenen Eindrücken werden Postkartenmotive ausgewählt. Jede Postkarte ist individualisiert und soll durch die Wahl des Motivs die Empfänger ansprechen und zur Antwort herausfordern. Parallel zu dieser gezielten Ansprache einiger, findet zudem eine groß angelegte Versendeaktion statt, die sich an alle Haushalte der Gemeinde richtete.

Wir fragen Marchtrenk und die Stadt antwortet. Auch wenn wir nicht von Rücksendungen überschwemmt werden, arbeiten wir freudig mit dem, was an Botschaften zurückkommt. Aus den unterschiedlichen Mitteilungen werden Plakattexte extrahiert, die während des Festivalzeitraums im öffentlichen Raum auftauchten und in Ausschnitten zeigen, was Marchtrenk von der Kunst will. Im Festivalbüro versammeln sich außerdem alle in die Stadt ausgesandten Postkarten in einer Schaufenster-Präsentation. Fast nebenbei ist so ein auf spezielle Details fokussiertes Porträt der Gemeinde entstanden.


günther | wagner
Kaiserstraße 11 | D-35398 Gießen

Telefon: +49 6403 694605
günther: 0151 6171 8040 | wagner: 0171 819 0246 
info@guentherundwagner.de