Frankfurt/M., Digitalfotografie, Inkjetprints, DIN A4, 2007

Hausflächen DIN-Format, 2005 bis 2009

Digitalfotografie, Inkjetprints, DIN A4

Auswahl aus der umfangreichen Serie;
entstanden in Berlin, Butzbach, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt/M., Friedberg, Gießen, Halle/S., Hamburg, Köln, Kassel, Mönchengladbach, Neuwied und Nürnberg

Dortmund, 2006

Düsseldorf, 2005

Düsseldorf, 2005

Frankfurt/M., 2005

Frankfurt/M., 2005

Butzbach, 2006

Dresden, 2008

Berlin, 2007

Berlin, 2007

Berlin, 2007

Berlin, 2009

Berlin, 2009

Neuwied, 2006

Neuwied, 2006

Nürnberg, 2007

Mönchengladbach, 2007

Kassel, 2008

Köln, 2005

Kassel, 2005

Gießen, 2007

Gießen, 2007

Dresden, 2006

Dortmund, 2006

Gießen, 2007

Gießen, 2005

Düsseldorf, 2005

Hamburg, 2007

Gießen, 2007

Gießen, 2007

Halle/S., 2008


Der Normalzustand des Wohnens

Ingke Günther

Eine Fotografie. Die bildfüllende, weiß gekachelte Hausfassade mit vier Doppelfenstern lässt nur einen schmalen Streifen des fahlen Himmels frei. Das helle Weiß der vertikal gekachelten Wand verströmt die ungastlich-hygienische Atmosphäre eines Schlachthausinterieurs. Ähnlich abweisend ist das, was sich im Geviert der Fenster abspielt: mit unterschiedlich farbigen, vorgezogenen Vorhängen und heruntergelassenen Rollos riegeln die Bewohner ihren Wohnraum vor dem Draußen ab. Einzig eine Fensterhälfte ist zum Lüften geöffnet und durchbricht die Flächigkeit der verschlossenen Fassade, um den Blick in ein dahinter liegendes Dunkel freizugeben.
Eine andere Aufnahme: Zwischen Waschbetonplatten, die das Bildfeld oben und unten begrenzen, wird in Untersicht der Blick auf einen schmalen Balkonstreifen frei. Oben schließt eine in Orange-, Beige- und Weißtönen gestreifte, eingerollte Markise an das Graubraun der Betonverkleidung an, unten sind es die farbigen Tupfer der in Balkonkästen aufgereihten Geranien im rotgrünen Komplementärkontrast. Dazwischen wird im Hintergrund die spiegelnde Fläche eines angeschnittenen Fensters sichtbar, ein Stück Regenrinne setzt einen senkrechten Akzent auf dem Weiß der Hauswand. Die im sauberen Abstand gepflanzten Geranien, deren Neigung zueinander ebenfalls einer Regelmäßigkeit unterworfen zu sein scheint, unterstreichen den Eindruck von überpflegter Sauberkeit und penibler Ordnung.

Seit 2005 streift Jörg Wagner mit dem Fotoapparat durch die urbanen Lebenswelten deutscher Vor- und Innenstädte und sammelt Fassadenansichten. Er hält das Mehrfamilienzuhause an der Schnittstelle zwischen drinnen und draußen, zwischen privater und öffentlicher Sphäre fest und dokumentiert den Gestaltungswillen der Bewohner in dem Bereich, in dem er in den Außenraum ragt. Fensterfronten und Balkone trägt Wagner in Ausschnitten als Prototypen deutscher Durchschnittsarchitektur zusammen – mehr oder weniger unambitionierte Funktionsbauten, einzig zum Wohnen errichtet, nicht zum Repräsentieren. Auf den fensterbankschmalen Grünstreifen und auskragenden Balkonfreizeitwelten bleibt der Mensch in der Fotografie ausgespart, doch er schiebt sich in vielen der Fotografien vermittelt ins Bild, drückt sich in den Blumenarrangements, der Gardinenauswahl und -raffung, der Balkongestaltung aus.
In ihrer Austauschbarkeit sind die Fassadenausschnitte jedoch regional kaum festschreibbar; nicht zu unterscheiden ist, ob sie in einer Großstadt oder eher kleineren Gemeinde aufgenommen wurden. Tatsächlich entstanden die Aufnahmen in Berlin, Butzbach, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt/M., Friedberg, Gießen, Hamburg, Köln, Kassel, Mönchengladbach und Nürnberg. Die dort aufgenommenen Fassadenflächen, Fensterfronten und Balkone vermitteln einen Einblick in die Vielfalt von möglichen Baumaterialien, erweitert um die individuellen Anbauten der Bewohner. Und sie geben knappe Einsicht in die dahinter liegenden Wohnwelten. Dort wird jedoch nicht das Besondere Preis gegeben, als vielmehr „Normalität“ und allgemeine Geschmacksangleichung.

Wagner verzichtet auf die klassischen Mittel der Architekturfotografie. Wie ein Jäger und Sammler bewegt er sich durch die Stadtlandschaft, fotografiert aus der Hand, von unten, nimmt dadurch Verzerrungen in Kauf. Nicht das perfekte Bild interessiert ihn, sondern der Blick im Vorübergehen, der festhält, aber nicht überhöhen oder überästhetisieren will. Auch wenn sich hier und dort durchaus ein ästhetisches und spektakuläres Bild einstellt. Jörg Wagner arbeitet rasch, um mit seinem indiskreten Blick auf die Fensterscheiben der Privatwohnungen nicht länger als nötig zu verweilen. Er bildet den Normalzustand des Wohnens ab, Allerweltsarchitektur – „alles was (…) Mitte, Mehrheit, Durchschnitt ist“ (Botho Strauß, „Paare, Passanten“).

Auffällig ist Wagners Faszination an Strukturen und Farbflächen, am Nebeneinander gegliederter Flächen und unterschiedlicher Materialien oder Bauelemente wie Kacheln, Verputz, Mauerwerk, Verschalungen, Glasbausteinen, Verstrebungen, Klinkern, Panelen oder Balustraden. Aus dieser Vorliebe ergibt sich sein Fokus auf einen bestimmten Häusertyp – vornehmlich sind es die Mehrfamilienhäuser der 50er bis 80er Jahre. Hier hält er das Zusammenspiel zwischen gebauter Substanz – in all ihrer materiellen Collagehaftigkeit – und den pointierten gestalterischen Umbauten, Eingriffen und Dekorationen der Bewohner fest. Nüchtern bildet er dabei ab, was er vorfindet: wüste Materialkombinationen neben schlichen Flächen, Gestaltungswille und Tristesse, aber auch die ungewollte Komik mancher Arrangements und „Pflanzenprotagonisten“, die die Balkone wie Bühnen bespielen.
Dabei ist Wagners Sammeln nicht als durchgängiges Dokumentieren ganzer Straßenabschnitte zu verstehen, denn sein Suchfilter ist auf das Spektakuläre im Detail ausgerichtet. Der Overkill mancher Balkongestaltung kommt dabei nicht ins Blickfeld. Es sind die aufeinander treffenden Strukturflächen, es ist die Welt der Kacheln, Glasbausteine und Verschalungen, es sind Oberflächen, die ihn interessieren. In Wagners Fotografien wird die dreidimensionale Architektur zur flächigen Struktursammlung, zum detailverliebten Zeugnis gebauter Umwelt. Diese fokussierte Alltäglichkeit erscheint dabei im passenden, herkömmlich genormten Format und verhilft der Serie zu ihrem Titel: „Hausflächen DIN-Format“.




Köln, Digitalfotografie, Inkjetprints, DIN A4, 2009

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